KINDER ! WAGEN e.V.

Vorgeschichte

 

 

Home
Nach oben

 

Von der Art Kinder zu transportieren

 

Jahrhunderte lang mussten Kleinstkinder getragen werden, weil es die einzige Möglichkeit für die Mütter darstellte unter starken körperlichen Belastungen, mobil zu sein. Erst die Entstehung des Kinderwagens im 19. Jahrhundert lieferte einen enormen Fortschritt in Richtung Mobilität und verschaffte damit den Müttern Freiräume. Schon während der Zeit des römischen und griechischen Reiches wurde von den praktischen Tragetüchern Gebrauch gemacht.

Höchstwahrscheinlich geht die Entstehung dieser Rückentragewiege bis in Zeit der ersten Jäger zurück, die ähnliche Tuchkonstruktionen als Transportmöglichkeiten für Beute oder Waffen verwendet haben. Vom männlichen Vorbild abgeschaut, entwickelten Frauen eine Möglichkeit ihr Kind besser transportieren zu können.4

Weitverbreitet konnte man diese Form des Transportes über Jahrhunderte bei vielen Volksstämmen verschiedener Kulturen beobachten. Jedoch gestaltete sich der Transport von Kleinstkindern bei Volksstämmen schwierig, die aufgrund ihrer Lebensgewohnheiten häufig ihre Lebensräume wechselten und somit ständig flexibel sein mussten. Als Abhilfe wurden Tragehilfe verwendet, die es ermöglichen sollten auch längere Reisen für Mütter erträglich zu machen. Teilweise trugen die Frauen ihre Schützlinge, in einer Art Beutel, auf dem Rücken oder an der Brust.

Oftmals wurden der Körper von Säuglingen komplett eingewickelt, um Verletzungen vorzubeugen. Weiterhin diente diese Hülle als Schutz gegen die Kälte und sollte den Körper des Kindes warm halten. Zeitgenössische Ansichten sahen folgenden Vorzug, dass durch die geringe Bewegungsfreiheit der Kinder, die aus den festen Umwickelungen resultierten, einer zu starken Gliedmaßenarbeit der Kleinen vorgebeugt und somit die Knochen geschont werden konnten. „Die Wickelbänder waren auch kein Symbol der Zucht und Ordnung im moralischen Sinn, sie sollten Verdrehungen oder Verrenkungen der Gliedmaßen verhindern und ein harmonisches Wachstum fördern“5. Die enge und direkte Verbindung zwischen Mutter und Kind wurde als großer Vorteil angesehen, genau wie der relativ frühe Kontakt zur Um- und Außenwelt.

Andererseits traten häufig folgenschwere Beeinträchtigungen der Gesundheit des Kindes, besonders dessen Bewegungsapparat betreffend, auf. Aufgrund mangelnden Wechsels der Wickel, wurden außerdem Entzündungen und Wundreizungen verursacht. Außerdem traten Hüftverrenkungen auf, wenn das Kind zu fest gewickelt worden war.

Zu spätes Erlernen des Laufens bei Kindern resultierte daraus, dass in vielen Fällen Mütter oder Kindermädchen zu lange von den Wickel in dieser speziellen Form Gebrauch machten.

Die verschiedenen Rückentragewiegen weisen aufgrund ihrer unterschiedlichen Nutzung und Anwendungsbereiche rund um den Globus Differenzen auf, die hinsichtlich ihres Aufbaus und der Ausstattung deutlich werden. Oft sind diese Rückentragewiegen mit Nackenstützen ausgestattet, die dem Kopf des Kindes Stabilität verliehen haben und so als Schutz vor ruckartigen Bewegungen dienten. Als weitere Schutzmaßnahmen sind schirmartige Vorrichtungen bekannt, die das Kind vor Sonne und Regen bewahren sollen. In Regionen, die durch Kälte und harte Winter gekennzeichnet sind, wurden die Kinder zusätzlich in Felle eingepackt.

Als eine weitere Transportmöglichkeit bildete sich der Korb heraus. Als Entlastung der körperlichen Anstrengungen der Mütter wurden auch Zugtiere als Kinderträger benutzt. Ob in Tücher gewickelt oder in Körben gebettet und am Rücken der Tiere befestigt: so die Reise konnte losgehen.

Während des Rastens wurden die Körbe bzw. Tücher samt der Kinder an Bäume gehängt, um die Mütter und Tiere von ihren körperlichen Strapazen vorübergehend zu entlasten.6 Der Korb, aus biegsamen, dünnen Ästen geflochten, sollte sowohl dem Gewicht des Kindes Stand halten und widerstandfähig gegenüber äußeren Umweltfaktoren sein, als auch die Lasten für den Tragenden nicht noch mehr verstärken.

Als nächtlicher Schlafplatz hielt die Wiege Einzug, da sie beruhigend auf das Kind durch die gleichmäßigen und sanft schwingenden Bewegungen wirkte. Meist aus Holz oder Rinden bestehend und zusätzlich mit Leder, Tüchern oder Fellen ausgestattet, bot die Wiege in allen ihren Erscheinungsformen einen ruhigen Schlafplatz für das Kind.

Verschiedene Gründe sind zu nennen, dass bis heute einige scheinbar rückständige Völker Tragegewohnheiten pflegen, die bereits Mitte des 19.Jahrhunderts in Nordamerika und Europa von dem Transportmittel für Kinder -dem Kinderwagen- abgelöst worden sind.

Einerseits erscheint die Lebensweise und der Lebensraum dieser Völker als hinreichender Grund, der den Gebrauch von Kindermobilen ausschließt. Oft handelt es sich um Völker, die je nach Jahreszeiten und deren klimatischen Bedingungen in verschiedenen Regionen als Nomaden leben. Aber auch die fehlende Infrastruktur in der Wüste oder im Regenwald lässt die Anwendung von Fahrzeugen, so auch dem Kinderwagen nicht zu.

Andererseits ist es wichtig, dass man die sozialen Verhältnisse anderer Kulturen betrachtet, die im starken Kontrast zu der Lebensweise der Menschen in Industrieländer, stehen.

Vergleichsweise leben diese Völker häufig isoliert von anderen Gemeinschaften, während unsere Gesellschaft eine offene und multikulturelle ist.

Zu beobachten sind andere soziale Strukturen im Miteinanderleben, die auch das Leben der Familie prägt. Während der Mann in diesen Völkern traditionell derjenige ist, der den Unterhalt der Familie erarbeitet, kümmert sich die Frau um die Kinder und regelt den Haushalt. Daraus resultierend ergibt sich ein anderes Verständnis für soziale Bindung, die zusammen mit der unterschiedlichen Lebensweise, für die Benutzung des Kinderwagens keinen Platz im Leben zu lässt. Vor allem Naturvölker in Afrika, Südamerika und Asien, die unter anderen Bedingungen leben, pflegen deshalb noch heute jahrhundert alte traditionelle Tragegewohnheiten.


 

4 von Zglinicki, Friedrich: Die Wiege, Regensburg, 1979, S.72/79

5 Shahar, Shulamith: Kindheit im Mittelalter, München/Zürich, 1991, S.102

6 von Zglinicki, Friedrich: Die Wiege, Regensburg, 1979, S.81