KINDER ! WAGEN e.V.

Entstehung

 

 

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Entstehung

 

Der Transport von Kinder in Wagen ist keineswegs eine Erfindung der Neuzeit. Vielmehr geht diese Art und Wiese des Fortbewegens von Kindern bis in das 17. und 18.Jahrhundert zurück. Auf bildlichen Darstellungen aus dieser Zeit sind bereits Ziehwägelchen dargestellt. Diese waren mit einer Deichsel und einer beweglichen Vorderachse ausgestattet, so dass Beweglichkeit ermöglicht werden konnte. Schon damals wurden Hunde oder Ziegen als Zugtiere vor den Wagen gespannt, um sich das mühevolle Ziehen über sandige und schwerbefahrbare Wege zu erleichtern. Es handelte sich dabei um handwerkliche Einzelstücke, die aufgrund ihres einfachen Baus, den Anforderungen der Entwicklung nicht Stand halten konnten. Bereits vor 200 Jahren äußerte sich der angesehene Arzt Dr. Christoph Wilhelm Hufeland, Leibarzt des preußischen Königs, über den Vorteil von dem Gebrauch eines Stubenwagens, der schließlich auch zu den Vorläufern des Kinderwagens gezählt werden muss: „Ich habe bei meinen und anderen Kindern statt der Wiegen Betten, die auf kleinen Rädern standen, sehr gut gefunden, wobei man den Kindern ebenfalls Bewegung geben kann, die aber nicht das Nachteilige der schaukelnden hat.“12

So ist auch zu erklären, warum nur wenige dieser Einzelanfertigungen die lange Zeit bis heute überlebt haben. Anwendung fanden solche Exemplare vor allem auf dem Lande, wo Landarbeiterfamilien gezwungen waren ihre Jüngsten mit aufs Feld zu nehmen.

Während des 19. Jahrhunderts fanden große Umbrüche statt, die sich sowohl auf die Arbeitswelt, wie auch auf das Privatleben der Menschen auswirkten.

Aus heutiger Sicht vollzogen sich die Entwicklungen des Kinderwagens fast zeitgleich in England und Deutschland. Nicht ganz eindeutig kann man heute sagen, wo und von wem der erste Kinderwagen, im modernen Sinn, konstruiert und gebaut wurde. Sicher ist jedoch, dass der Engländer Charles Burton 1852 eine Fabrik in London gründete. Ein Jahr später meldete er ein Patent für einen Kinderwagen an, den Burton „Perambulator“ taufte. Hierbei handelte es sich um einen, für ältere Kinder geeigneten dreirädrigen Kinderwagen zum Schieben. Wahrscheinlich fungierten auch Krankenfahrstühle und fahrbare Kinderstühle als Vorbilder.13

In Deutschland beschäftigte sich als Erster der Stellmacher Ernst Albert Naether mit der Konstruktion und Herstellung eines Kinderwagens.

Seine Modelle waren für Kleinstkinder gedacht, um diese in den Stuben bewegen und an der frischen Luft ausfahren zu können.

Im Jahre 1852 bot der einstige Großwagenbauer Naether einen Kinderziehwagen auf der Leipziger Messe an. Ein sehr schlichtes Exemplar, bestehend aus einem Weidenkorb auf einem einfachen, dem Leiterwagen ähnlichen, Gestell montiert, wurde anfangs von zeitgenössischen Zweiflern belächelt.

Doch die Nachfrage nach der neuen Erfindung, die ihren Zweck voll und ganz erfüllte, stieg in sehr kurzer Zeit rapide an.

So kam es, dass die Anzahl handgefertigter Modelle nicht mehr ausreichte, um die ständig steigende Nachfrage stillen zu können und weitere Handwerksbetriebe nahmen sich der Herstellung von Kinderwagen an. Die Qualität und Zweckmäßigkeit überzeugte anfängliche Skeptiker und ein breiter Absatzmarkt eröffnete sich, so dass einstige kleine Unternehmen, die Kinderwagen nur nebenbei produzierten, zu großen Betrieben heran wuchsen, die ihre Produktion voll und ganz die Herstellung von Kinderwagen widmeten.

Das wichtigste deutsche Zentrum bildete sich rundum die Stadt Zeitz aus. Im Jahre 1926 meldeten 12 Firmen ihren Sitz in Zeitz von insgesamt 26 deutschen Fabriken, die Kinderwagen produzierten.14

Wichtige Standortfaktoren, wie z.B. die günstigen Verkehrsanbindungen und der Ausbau des Schienennetzes, waren erfüllt und unterstützten den Im- und Export. Binnen weniger Jahrzehnte hatte sich der deutsche Kinderwagen, durch angebotenen Komfort und Qualität, einen guten Namen verschafft. Auch andere Industriezweige profitierten von dem Boom in der Kinderwagenproduktion, sowohl Zulieferer für wichtige Herstellungsmaterialien und -geräte als auch Verkäufer des sehr gefragten Produktes verzeichneten starke Gewinne. Auch in Görlitz war eine renommierte Kinderwagenfirma ansässig, die unter dem Namen Pfeiffer Görlitz lief.

Tiefe Einschnitte durch den 2.Weltkrieg beeinflussten die deutsche Industrie und somit auch die Kinderwagenbranche. Lediglich eine eingeschränkte Produktion war möglich, da die Betriebe von staatlicher Seite in die Rüstungsindustrie einbezogen wurden. Außerdem wurde die Herstellung erschwert, weil wichtige Materialien und Rohstoffe nicht beschafft werden konnten, da Außenhandelskontakte abgebrochen wurden. Mühsam begann die Suche nach möglichen Ersatz.


 

12 Hufeland

13 Begleitheft des Kinderwagenmuseums Zeitz, Zeitz, 1996, S.6

14 Begleitheft des Kinderwagenmuseums Zeitz, Zeitz, 1996, S.